Strafverfolgung

Nach dem Ende des NS-Regimes und der damit verbundenen Verbrechen stand die deutsche Justiz vor dem Problem, die organisierten Massenmorde der „Euthanasie“ mit Hilfe des Strafgesetzbuches aus dem Jahr 1871 zu ahnden. Das bedeutete: für eine juristische Verurteilung der Täter bedurfte es konkreter Nachweise der einzelnen Tötungshandlungen, die zumeist nicht beizubringen waren. Häufig war nur die Zahl der Opfer bekannt, nicht aber ihre einzelnen Namen. Bei der Vielzahl der Beteiligten war es den jeweils Angeklagten zudem in der Regel möglich, die eigene Schuld auf andere, nicht anwesende Personen abzuschieben.

In der  Bundesrepublik versuchte Fritz Bauer als hessischer Generalstaatsanwalt nach dem Auschwitzprozess von 1963 bis 1965 zumindest die Beteiligung der Juristen an der „Euthanasie“ strafrechtlich zu ahnden. Nach seinem Tod wurde das Verfahren jedoch eingestellt. In einzelnen Strafverfahren gegen Ärzte und Pflegepersonal versuchten Täter und Täterinnen zumeist erfolgreich, sich als reine Befehlsempfänger ohne eigene Handlungsalternative zu präsentieren und den Mord als Erlösung „niedergeführter Existenzen“ von ihren Leiden darzustellen. Die geringen Urteile und häufigen Freisprüche stehen für die justizielle Akzeptanz der Begründungen von Angeklagten und Verteidigern. Dazu gehörten vor allem die Argumente des mangelnden Bewusstseins der Rechtswidrigkeit (Verbotsirrtum), die Annahme einer gesetzlichen Regelung, die Pflichtenkollision und der mangelnde Täterwille.

Die Strafverfolgung der an der Sterilisation und Ermordung von Kranken und Behinderten beteiligten Personen ist zwangsläufig Bestandteil einer übergreifenden Geschichte politischer Deutungshoheiten, in deren Verlauf Täter und Täterinnen nicht selten mit einem geringem oder gar keinerlei Strafmaß rechnen konnten. Auch die  DDR tat sich schwer mit der Strafverfolgung, aber weniger aus einem Zusammenhalt natur- wie geisteswissenschaftlicher Eliten, sondern mit der Begründung der Sicherstellung der medizinischen Versorgung für die Bevölkerung.
 
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